„Was macht der andere Kaczynski?”, Basler Zeitung

12 kwietnia 2010 r.

Der verstorbene polnische Präsident Lech Kaczynski und Jaroslaw wurden immer als Doppelpack wahrgenommen. Jaroslaw, der seinen Zwillingsbruder beerben könnte, weckt heftige Emotionen bei Anhängern und Gegnern.Das Bild hat sich in das nationale Bewusstsein Polens eingeprägt: Jaroslaw Kaczynski wie er einsam vor dem Sarg seines Bruders Lech am Warschauer Flughafen kniet. Stets wurden die eineiigen Zwillinge als Doppelpack wahrgenommen, ob sie nun als Staats- und Regierungschef gemeinsam die Geschicke des Landes lenkten oder Jaroslaw Kaczynski die Fäden im Hintergrund zog und seinem Bruder das Rampenlicht überliess. Noch ist unklar, wer sich um die Nachfolge des verstorbenen Präsidenten bemühen wird – aber natürlich richten sich dabei die Blicke auch auf Jaroslaw. 

Deutlicher als die minutenlange, versunkene Trauer vor dem Sarg seines Bruders hätte der einstige Regierungschef seinen Schmerz nicht ausdrücken können. Viele Polen fragen sich, was nun aus ihm werden wird – auch weil seine Mutter, bei der er bis heute wohnt, schwer krank ist und noch nichts vom Tod ihres Sohnes weiss. 

Bewundert und gehasst 

Kaum ein anderer Politiker im heutigen Polen weckt so heftige Emotionen bei Anhängern und Gegnern wie der nationalkonservative Oppositionschef. Sein eigenes Lager bewundert seinen scharfen Verstand und seine unnachgiebige Haltung. Seine Gegner aus dem liberalen und sozialdemokratischen Lager verabscheuen den kleinen Mann mit dem runden Gesicht so sehr, dass sie ihn früher gelegentlich sogar mit Stalin verglichen. 

Von jeher gab der 45 Minuten ältere Jaroslaw den Ton an. Schon seine Mutter Jadwiga Kaczynska sagte einmal, ŤJaroslaw wird immer derjenige sein, der die besseren Strategien wähltť. Auch als Jaroslaw Kaczynski im Oktober 2007 sein Ministerpräsidentenamt an den Liberalen Donald Tusk verloren hatte, holte sich sein Bruder im Präsidentenpalast täglich telefonischen Rat bei ihm ein. 

Meister im Simultan-Schach 

Der renommierte polnische Wahlforscher Eryk Mistewicz bescheinigte dem Gründer der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) das Geschick eines ŤSchachspielers, der mehrere Partien gleichzeitig spielen kannť. 

Der Politologe Mikolaj Czesnik sagte einmal, Jaroslaw Kaczynski habe einen ausgeprägten Sinn für Massenpsychologie: ŤEr hat gelernt, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen, manchmal mit den niedrigsten.ť Kaczynski könne latente Ängste wecken, anti- europäische Gefühle und Sozialneid. 

Jaroslaw Kaczynski galt stets als leicht verschrobener Hitzkopf, sein Bruder als versöhnlicherer Staatsmann. Während Lech Kaczynski verheiratet und bereits Grossvater war, blieb Jaroslaw bei der Mutter wohnen – und nutzte sogar ihr Konto, um sein Gehalt überweisen zu lassen: Auf diese Weise wolle er jedem Bestechungsvorwurf zuvorkommen, verteidigte sich der stets misstrauische Jurist. 

Polarisierender Nationalist 

Während seiner etwas mehr als einjährigen Amtszeit als Ministerpräsident inszenierte er in der Heimat Koalitionskrisen und in der EU Verhandlungsblockaden. Für einigen Wirbel und Spott sorgte im Juni 2007 seine Forderung, Polen müsste wegen seiner Opfer im Zweiten Weltkrieg ein grösseres Stimmengewicht innerhalb der EU erhalten. 

Dem staatlichen polnischen Radio sagte er damals: ŤWir fordern derzeit nur, dass man uns zurückgibt, was uns genommen wurde. Wenn Polen nicht die Zeit von 1939 bis 1945 erlebt hätte, dann wäre es heute ein Land mit 66 Millionen Einwohnern.ť 

Mit seinem polarisierenden Politikstil stiess Jaroslaw Kaczynski zunehmend auf Ablehnung. Als er für Oktober 2007 vorgezogene Wahlen ausrief, verlor er gegen Tusks Bürgerplattform. Seitdem zog er im Hintergrund als Oppositionsführer die Strippen. 

In Polen fragt man sich, ob Kaczynski, der schon in den 1980er Jahren für Solidarnosc Politik machte, versuchen könnte, selbst ins Rampenlicht zurückzukehren – oder ob er ohne seinen Zwilling den Geschmack an der Konfrontation verliert.